Adventsabendlied 8: "Schneeflöckchen, Weißröckchen"


Habt Ihr dieses Jahr schon ein Schneeflöckchen gebastelt?

Ratzfatz geht das – einen Kreis um einen Teller auf einen Bogen (Butterbrot-)papier gezogen – ausgeschnitten - 3x zu Spitze gefaltet und seitlich nach eigenem Gusto Eckchen ausgeschnitten - aufgefaltet – Boah! Vielleicht hängt bei Euch auch eines oder mehrere der Scherenschnitte bei Euch am Fenster und zeigt den Vorübergehenden, dass sich da jemand an den „Weißröckchen“ freut.

 

Auf dem Schulheimweg den Kopf weit in den Nacken gelegt, die Zunge himmelwärts vorgestreckt, die köstlichsten Schneeflocken einfangen und schmecken..... Sooo schön war das!

Die Arme weit vom Köper gestreckt, um zu sehen wie die Schneeflocken sich auf der Wolle des Mantels oder des Pullovers niederlassen, um dann langsam mit ihm zu verschmelzen. Schnell war sie weg und doch dann ganz bei mir, die Schneeflocke. Manchmal ging es so schnell, dass ich gar nicht mitkam.

Auf der Alb schneite es beim Skifahren manchmal so wild in mein Gesicht, dass es war wie tausende und abertausende ungestüm-feuchter Küsse, die einen kalten, schimmernden Hauch hinterließen.

 

Die ersten Schneeflocken auf dem Asphalt – da konnte ich manchmal ihre wunderschönen Formen sehen, ganz kurz und weg war sie und die nächste kam und viele noch - bis alles weiß war und die Welt stiller wurde. Bisweilen so still, dass man den fest zusammenhaltenden Schnee stöhnend unter den Schuhen knirschen hörte.

 

Einmal auf meinem Weg ins Würmtal musste ich die A8 am Flughafen verlassen, um anzuhalten, weil die riesigen Schneeflocken, die in riesiger Zahl und Größe scheinbar waagrecht und unentwegt rufend auf die Windschutzscheibe zurasten und die Felder neben der Autobahn in Windeseile in eine herrlich unberührte, schneeweiße Fläche verwandelte, die mich fast verleitet hätte, in das köstliche Weiß abzubiegen, dahin wo gar keine Straße, sondern nur wunderbar stilles Weiß war, wo die Schneeflocken sich trafen und blieben.

 

Die berauschende Magie, die mich erfasst hatte, durchbrechend, leitete mein Verstand mich die nächste Ausfahrt hinaus. Nachdem ich eine Telefonzelle gefunden und in meiner Ausbildungsschule mein Zuspätkommen angekündigt hatte, konnte ich endlich durchatmen und mit freuen an dem Mirakel, das mich auf meinem erwachsenen Schulweg frühmorgens überrascht hat.

Vielleicht hört Ihr es in unserem heutigen winterlichen Abendlied an meinem Kindersopran auch: Ich liebe die Schnehee-flocken sehr und heute möchte ich mit Euch diese Freude teilen.

 

Die bezaubernde Wirkung der Schneeflocken, die im Vietnamesischen so schön lautmalerisch bông tuyết  heißen, begeistert mich ebenso wie ihre bestimmt nicht vollständig erforschte naturwissenschaftliche Seite, ihre kurze Lebensdauer und die so unermessliche Kraft wenn die einzelnen Schneeflocken sich zusammentun, sich zusammenballen entsprechend ihrer ethymologischen Herkunft.

 

Oft habe ich mir vorgestellt, dass ich einmal, wenn ich nicht mehr bin und die Erde mich wieder in sich aufgenommen und verarbeitet hat, als Wassertropfen von der heißen Sonne angezogen hinaufsteige in große Höhen, mich laufend verwandelnd, aber immer in Gesellschaft vieler Ebensolcher. Und während ich als Eisplättchen wieder auf dem Weg durch die Atmosphäre hinunter zur Erde falle, wachsen auf der langen Reise bei jeder Drehung wunderbare, einzigartige Ausformungen, die von den unterschiedlichen Temperaturen und Feuchtigkeiten auf dem Weg zu symmetrischen Armen und Beinen geformt werden – zu einem sechseckeigen Kristall, dem gleich, was ein Kind nach dem Auffalten seines Scherenschnitts staunend betrachtet, um es dann ans Fenster zu kleben und vielleicht uns heutiges Adventsabendlid anzustimmen: „Schneeflöckchen, Weißröckchen“.

 

Eigentlich wäre an dieser Stelle ein gutes Plätzchen, Euch eine gute Nacht zu wünschen.

 

Wären da nicht meine aktuellen Schneeflockengedanken und -phantasien:

Angesichts der für morgen in Aussicht gestellten Schneeflocken stellte ich mir vor, wie es wäre, wenn wir Menschen – Schneeflocken gleich - individuell und doch gemeinsam, transparent uns an Kristallisationskeime anlagernd - die Kinder auf der Erde erfreuen, für wundersame Stille sorgen und falls es erforderlich ist, uns zu einer großen Kraft zusammenballen würden, um alle Hektik und alles scheinbar so Wichtige lahmlegten– eine unglaubliche Vorstellung. Keine zerstörende Lawine, einfach eine sanfte, unschuldig-weiße Schneedecke aus unzähligen individuellen, gemeinsam Agierenden – unüberwindbar und glitzernd schön.

 

Man müsste sich besinnen, was man statt der Hektik und statt des Autofahrens, statt des Wirtschaftsankurbelns und statt des Demmammonnachjagens machen könnte.

 

Manche Menschen würden die Stille, das kristallene Glitzern und die weiche Sanftheit womöglich genießen,  es mit Weihnachten in Verbindung bringen und sich wünschen, es möge nicht aufhören. Und das, obwohl die Medien vermutlich nicht vom zivilen Ungehorsam der Schneeflocken, sondern von einer katastrophalem Terror sprächen, dem man energisch begegnen müsse..

Die Natur würde sich freuend erinnern, wie es auch sein kann, wenn es Winter ist und die Bäume wüssten dankbar, dass sie nur warten müssten, bis ihre Wurzeln wieder getränkt werden mit den köstlich-geschmolzenen Kristallen.

Nun, heute war ein Sonnentag – warten wir, ob es morgen Schnee gibt bei uns und träumen wir nicht vom Schnee von gestern sondern von kommenden „Schneeflöckchen“