Adventsabendlied 15: "In dulci jubilo"


Erst beim Nachlesen der Geschichte des Liedes „In dulci jubilo“, habe ich erfahren, dass die Zweisprachigkeit eines Textes - wie bei diesem Weihnachtslied - „makkaronisches Gedicht“ genannt wird. Habt Ihr gewusst, dass man die Mischung zweier Sprachen im Gedicht so oder sogar „Nudelverse“ nennt?

Offenbar haben sich schon im Mittelalter Menschen der Zweisprachigkeit innerhalb eines Textes oder während des Sprechens als besonderes Stilmittel bedient. Ein Stilmittel, das sie von denen unterschied und sogar abhob, die nur einer Sprache mächtig waren. Da haben die Latein sprechenden Gelehrten Latein mit Italienisch oder mit dem venezianischem Dialekt vermischt, Französisch oder Deutsch mit Latein oder Hochdeutsch mit einem regionalen Dialekt. Auch in China wurde so kreativ zwischen Sprache und Dialekt gewechselt und sogar Luther soll in seinen Tischreden in schnellem Wechsel Lateinisch und Deutsch gesprochen haben.

Ist das also eine Kunstform, die wir da hören in der Straßenbahn, wenn zwei junge Menschen miteinander fließend Deutsch sprechend plötzlich ins Türkische, Kurdische, Bosnische oder eine andere Sprache ihrer Vorfahren fallen und wir staunend den schnellen, übergangs- und mühelosen Wechsel zwischen den beiden Sprachen erleben? Als Umstehende bleibt uns dadurch meist ein Gutteil des Gesagten verborgen, wir können nur erahnen, was da gesprochen wird, das ja im Übrigen gar nicht für unsere Ohren bestimmt ist. Also keine „Ghettosprache“, sondern eher ein Ethnolekt, den sich Jugendliche zu eigen machen, die die Hochsprache für altbacken uncool halten?

Wenn sich die Nudel mit der Soße mischt, wird ein leckeres Ganzes daraus – einzeln ist jeder Bestandteil der Speise für sich weniger schmackhaft. Und ich mag Makkaroni – sie waren die ersten italienischen Teigwaren bei uns zu Hause als wir noch keine Spaghetti kannten. Meine Mutter mischte sie mit etwas gebräunter Butter oder an besonderen Tagen mit gezwiebelten Speckwürfelchen – lecker.

Heutzutage, wo Englisch die vorherrschende Sprache ist, nennt man das schnelle Wechseln zwischen zwei Sprachen „Code Switching“. Die Zweisprachsprechenden drücken offenbar ihre innere Shift+Key-Kombination und flugs ist alles umgestellt.

Meine Freundin, die auch mit über 80 Jahren total fit war am Computer und durch die sozialen Netzwerke mit ihren Lieben in aller Welt verbunden, konnte ihre Computertastatur ganz flugs umstellen von Ivrit auf Deutsch oder Englisch.

Bei ihr und bei so vielen Schülerinnen und Schülern staunte ich wie schnell nicht nur die gesprochene Sprache erfasst und „genudelt“ werden konnte, sondern auch die so unterschiedlichen Schriften, in denen ich nichts als Linien, Bögen und Schnörkel erkannte, sich für die jeweils Sprachkundigen in Verständniswelten öffneten, die mir stets verschlossen blieben.

In einem dem Abendliedgedanken im Frühjahr hatte ich ja schon davon erzählt, dass ich zu meinem Kummer leider in meiner Schulzeit nicht Latein lernen durfte und dass mich trotzig dann am Altgriechischen versuchte. Das Altgriechische hat mir so vieles auch von unserer und anderen Sprachen erklärt und nebenbei die Beschäftigung mit Vorstellungen von Demokratie und Staatswesen ermöglicht - davon zehre ich noch heute. Hoffend, dass es Uderzo/Goscinny mit ihrem Asterix waren, die meinen Sohn in das von ihm bald ungeliebte Latein gedrängt habe und nicht etwa - einer „Eislaufmutter“ gleich – ich selbst, die das Latein in der Musik kennengelernt hatte.

Sprache steht für Heimat und wir erleben bei Menschen, die zwischen zwei Heimaten pendeln oder zumindest ein Pendelgefühl empfinden, dieses schnelle innere Drücken der inneren Shifttaste.

„In dulci jubilo“ – In süßer Freude, mit süßem Jubel – und damit sind nicht etwa die vielen Gutsle und Schokokugeln gemeint. Freudig und froh dürfen wir singen, weil uns durch das Kind in der Krippe ein Trost, eine Güte gegeben wird, durch die wir nicht verloren sind – unsere Herzenswonne darf leuchten.

Mein Sohn fragte mich neulich, ob ich das Wonne im Bilderbuch für unsere Enkelin nur wegen des Reims auf Sonne verwendet hätte – darüber musste ich nachdenken. Nein, Wonne ist für mich viel mehr als ein Reimwort auf Sonne – es drückt eine so frohe, innere Herzensfreude uns -wärme aus, wie ich sie auch empfinde, wenn unser Wonneproppenenkele lacht, gluckst, kiekst und die Welt entdeckt.

Viel lieber als die deutsche Fassung des Liedes singe ich die „Nudelversion“, auch wenn es bei mir kein Umschalten zwischen den Sprachen ist, sondern eher an Hape Kerkelings Kunst erinnert, Sprachen und Dialekte zu imitieren, die man gar nicht spricht. Es ist so schön, mit Sprache zu spielen, Sprachen zu mischen - ein wonniges Vergnügen. Menschen, die mehr als eine Heimat empfinden oder die sich in andere Heimaten hineindenken und -fühlen haben ihre Freude daran wie Donatus Angele, dessen deutsch-japanisches Gedicht ich Euch als neues Beispiel anhänge.

Die Melodie dieses mindestens 600 Jahre alten Kirchenliedes inspirierte auch Künstler wie Johann Sebastian Bach, Dietrich Buxtehude, Mike Oldfield, die Punkband Die Tote Hosen und weitere zu eigenen Versionen.

Ich wünsche Euch viel Freunde beim Mitsingen und Jubilieren, beim Anhören der unterschiedlichen Liedversionen.

Ich freue mich auf weiteres „Sprachnudeln“, das mir zeigt, dass Menschen mehr als eine Heimat und eine Sprache haben können, in der sie sich zuhause fühlen.

Bleibt gesund mit dem frohen Singen, das uns den Staub von der Seele wischt. ...