Familienschatz


Als Kind begleitete ich gerne Muttchen, meine Oma Mütze, auf ihre Putzstellen in die vornehmen Haushalte - zur Witwe des mit der "Wilhelm Gustloff" untergegangenen Marineoffiziers mit den vielen Schiffs- und Offiziersbilder an den Wänden. Ich sollte nicht so auffällig herumgucken, meinte Muttchen, wenn ich mal wieder genau die Fotos und Gemälde inspizierte, die mich anscheinend nichts angingen.

 

Leichter war es da, wenn ich Tante Gerda, die Schwester meiner Mutter auf den Doktorberg begleitete, wo sie dem blinden Richter Falkenberg die Augen ersetzend den Haushalt und manches Sonstige erledigt. Da konnte ich in Ruhe die Bilder anschauen, die die Wände zierten und noch vieles mehr, denn ein blinder Richter sieht es ja nicht, wenn ein kleines Mädchen neugierig schaut. Zu fragen, warum bei einem blinden Richter so viele Bilder hängen, habe ich mich nicht getraut. 

Tante Gerda erledigte ihre Arbeit zügig und zuverlässig und der Richter war freundlich und schien immer beschäftigt.

 

Zu Hause bei Tante Gerda über dem goldfarbenen Bett hing immer ein großes Gemälde, das mich als Kind und als Jugendliche peinlich berührte, denn da waren die Brüste einer Frau so im Mittelpunkt, dass man immer hinschauen musste. Es schien mir ein wenig obszön, dass sich meine Tante, die doch verwitwet war, ein solches Bild über das Bett hängte - aber ich fragte natürlich nicht.

 

Weder als Muttchen im Juni 1984 stirbt, noch bei meiner Hochzeit, auch nicht bis Gerdas Tod im Juli 2001 weiß ich mehr von diesem Bild, doch ich bin ziemlich erstaunt, dass meine eher prüde scheinende Mutter sich dieses Bild als Erbe mit nach Haus nimmt - 700 km geht es auf Reisen. Will meine Mutter Gerdas Tochter oder Enkel vor dem Bild verschonen?

 

Bei ihr wird es doch wohl nicht über dem Bett im Schafzimmer hängen?  

Oh doch, das tut es dann. 

Nun, mein Vater ist zu diesem Zeitpunkt schon drei Jahre tot - er hätte sich das Bild wahrscheinlich nicht aufhängen lassen.

 

[Ff]