Walter, Hilde und Tom Ehlen - unvergessen


Seit dem 10. April 2024 liegen zwei weitere Stolpersteine vor dem Haus Oderstr. 52 in Berlin-Neukölln. 

 

In einer würdigen Zeremonie gedachten 60 Menschen an das Ehepaar Hilde und Walter Ehlen, die Widerstand leisteten gegen das NS-Regime.

 

              Hilde Irma Paechter             Walter Ehlen

16. Dezember 1910 Berlin    3. Dezember 1906 Berlin 

 6. September 1993 England  2. Mai 1945 Mauthausen

 

 

Als der Stuttgarter Widerstandskämpfer Karl Pfizenmaier, 1910 – 1970, stirbt, hinterlässt unter anderem einen Brief, den am 17. Mai 1945 aus der Klinik in Linz nach Hause geschrieben hat, nachdem er mehr als 10 Jahren unmenschlicher Haft in Gefängnissen und NS-„Konzentrations-lagern“ überlebt hat. Der lange, handgeschriebene Brief beginnt mit den Worten: 

 

 

Liebe Lydia! Liebe Mutter! Endlich! -  wohl kaum hat dieses Wort größere Bedeutung angenommen als gerade jetzt in diesen Tagen. Jahr um Jahr haben wir darauf gewartet. Oft voll Verzweiflung, oft ohne Hoffnung. Aber doch zäh und verbissen. Und der Tod marschierte mit. Zahllos waren die Opfer. Heute der, morgen jener, übermorgen vielleicht Du selbst. Trotz alledem war es mir vergönnt den Tag der Erlösung zu erleben. Mein Leben hing wirklich nur noch von Tagen ab, denn der Hunger war grausam. Ich war zu schwach zum Gehen. Es war schon Agonie zu nennen. Die Gedanken waren nicht mehr klar. Die paar Schritte, die man täglich machen musste, lief man wie ein Betrunkener. Immer wieder dachte ich: „ Ach wie schwer ist doch das Ende.“ Die letzten Tage wartete man doch stündlich mit dem Eintreffen der Amerikaner. Da kam der Tag, wo die SS abrückte u. die Polizei die Bewachung des Lagers übernahm. Wieder vergingen lange Tage des Wartens, ausgefüllt mit Hunger. In Gedanken rechnete ich aus, wie viele Tage ich noch so aushalten kann, bis auch ich nicht mehr vom Bett aufstehen kann und am anderen Morgen als Leiche zu den anderen im Waschraum aufgestapelt zu werden. Am 2. Mai hat man mir einen Kameraden erschlagen, der seit 1934 in Haft war. Er schlief mit mir im Bett zusammen, man rief ihn heraus, am Morgen war er tot. Verzweiflung packte mich. Auch er hatte eine Frau, hatte ein Kind. Er sah das Ende zum Greifen nahe und konnte die Schwelle nicht überschreiten.

 

Befreiung! Am 5. Mai, nachmittags 5 Uhr öffneten sich die Tore u. amerikanische …“ 

 

Dieser Kamerad war der Berliner Walter Ehlen, Lagerschreiber im Außenlager Saurerwerke Wien des „Konzentrationslagers“ Mauthausen. Junge slawische Häftlinge, die einen grünen Winkel tragen mussten und die der deutschen Sprache nicht mächtig waren, hatten den 39-jährigen Familienvater, der sich immer für alle Häftlinge eingesetzt hatte, in den anarchischen Wirren der Lagerauflösung erschlagen. Vielleicht hatte er verhindern wollen, dass sie sich selbst gefährdeten, wenn sie alles Essbare, das sie erwischen konnten, in sich hineinstopften, wie es manche der Häftlinge zum Preis des eigenen Todes bei der Befreiung taten, denn sie konnten vor Hunger nicht mehr klar denken.

 

Die Befreiung aus 10-jähriger Lagerhaft und zugleich der Tod des Freundes – das Grauen überdeckt jede Freude. Karl Pfizenmaiers Gedanken sind bei dem kleinen Sohn des Freundes, der ohne seinen Vater aufwachsen muss und bei der Frau des Freundes, von der er weiß, wie mutig sie sich im Widerstand eingesetzt hat.

 

Walter Ehlen wird am 3. Dezember 1906 in Berlin geboren. Er lebt mit seinen Eltern in der Oderstraße in Berlin-Neukölln im 4. Obergeschoss eines großen Mietshauses unmittelbar in der Nähe einer idyllischen Schrebergartensiedlung und dem Tempelhofer Feld, auf dem die Firmen Junkers und Aero Lloyd in den zwanziger Jahren einen Flugplatz errichten ließen.

 

Walter ist das älteste Kind seiner Familie. Zwei Jahre später wird sein Bruder Wilhelm Paul Johannes Ehlen geboren. Ein weiteres Jahr später die Schwester Emmy Elisa.

Wilhelm Paul Johannes Ehlen wird nur 5 Jahre alt.  

 

Als der 1. Weltkrieg ausbricht, ist Emmy erst vier und Walter sieben Jahre alt. Ein Drittel der Männer müssen an die Front, zu Hause bricht Hunger und Armut aus – Rüben und Graupen und die Suppenküche gehören bald zum Alltag der Menschen, Kartoffeln gibt es schon lange nicht mehr - Neukölln ist ärmste Großstadt Preußens. Zur notdürftigen Versorgung der Bevölkerung kauft der Magistrat selbst zu Wucherpreisen auf dem Schwarzmarkt, erhält eine Strafanzeige vom Kriegsernährungsamt, der Staatsanwalt beschlagnahmt die Kassenbücher, wodurch die wöchentliche Unterstützung für die „Kriegerfrauen“ nicht mehr ausbezahlt werden kann. Vielleicht war auch Mutter Elise Ehlen unter den Frauen, die das Neuköllner Rathaus stürmten und damit drohten, ihre schreienden und hungernden Kinder dort zu lassen.

 

So versteht der 12-jährige Walter und seine achtjährige Schwester Emmy schon viel von der Welt der Erwachsenen als der Krieg endet und wünschen sich eine friedliche, gerechte Welt.

 

Nach dem Besuch der Gemeindeschule in Berlin-Neukölln erlernt Walter Ehlen den Beruf des Schneiders. Seine Gesellenprüfung legt er 1924 ab.

Schon seit 1921 engagiert er sich in der Arbeitersport-Organisation, ab 1923 in der Sozialistischen Arbeiterjugend Neukölln, wo er bald Gruppenleiter und dann Jugendvertreter wird.

 

Hier lernt er auch seine spätere Frau Hilde Irma Paechter, geb. am 16. Dezember 1910 in Berlin-Schöneberg, die aus einer jüdischen stammt. Hildes Bruder Heinz und Walter sind beinahe gleich alt, Walters Schwester und seine Freundin Hilde sind drei Jahre jünger – ein pfiffiges Kleeblatt hat sich da gefunden. Mit ihren Freunden Hans Litten und Max Fürst führen Hilde und Heinz Paechter viele Gespräche darüber, wie die Armut der Arbeiter beseitigt und eine friedliche Welt geschaffen werden könnte. Sie besuchen die Marxistische Arbeiterschule Berlin bei Karl Korsch.

 

Walter Ehlen arbeitet als Maßschneider. Er tritt 1925 der SPD bei, wird aber nur zwei Jahre später ausgeschlossen. Die Vorstellungen einer sozialistischen Gesellschaft, wie er sie in der Sowjetunion im Aufbau sieht, begeistern ihn.

Die nächsten fünf Jahre arbeitet Walter Ehlen mit kurzen Zeiten der Arbeitslosigkeit als Einrichter in der Konfektion. 

Er tritt in den kommunistischen Jugendverband (KJVD) ein, wird bald Gruppenleiter und dann Agit-Prop-Leiter. Vehement setzt er sich gegen den aufkommenden Nationalsozialismus ein, beteiligt sich am Schutz von KPD-Veranstaltungen und prügelt sich - wenn es sein muss – mit den Schlägern der SA. Zugleich versucht er Jugendliche für den Kampf gegen die Gefahr von Rechts zu gewinnen. Der Abwehrapparat der KPD interessiert sich bald für den klugen Redner und mutigen Jugendgenossen.

 

Walter Ehlen tritt in die KPD ein und beteiligt sich aktiv an politischen Kämpfen. Er übernimmt zunächst die Aufgabe des Zellenkassiers, dann des Org.leiters einer Zelle. Am 29. Oktober 1929 wird er beim Verteilen von Flugblättern mit der Aufschrift „Schluss mit dem Terror der Nazis! Schlagt die Nazis, wo ihr sie trefft!“ erwischt – er wird zu einer Geldstrafe in Höhe von 60 Reichsmark verurteilt.

 

Am 15. Januar 1930 leistet Walter Ehlen der polizeilichen Auflösung einer KPD-Demonstration in Berlin-Neukölln nicht Folge. Gestapobeamten sagen aus, er habe „Schlagt die Bluthunde“ gerufen und einem Polizeileutnant einen Stoß vor die Brust versetzt, bevor der die Flucht ergriff. Das Schöffengericht Neukölln verurteilt Walter Ehlen zu 3 Monaten und einer Woche Gefängnis und 50 Reichsmark Geldstrafe.

 

Spätestens seit 1931 engagiert sich Walter Ehlen in der Abteilung Massen-Agitation der KPD. Bei einem Kurs in der militärpolitischen Akademie Bakovka bei Moskau, den er unter dem Decknamen „Alfred“ besucht, erhält Walter Ehlen die Ausbildung, die ihn für den Einsatz im Ressort „Weiß“ des Abwehr-Apparats der KPD qualifiziert.

Als Leiter eines Berliner Bezirksstabs „Weiß“ mit dem Decknamen „Alfred“ übernimmt Walter Ehlen die Doppelaufgabe, Materialien zu sammeln, zu sichten und weiterzugeben und zugleich die Zersetzung der NSDAP voranzutreiben.

 

Hilde hat ihr Studium an der Universität Berlin abgeschlossen. Seit August 1932 arbeitet sie als Stenotypistin in der sowjetischen Handelsvertretung in der Lindenstraße in Berlin-Kreuzberg .

 

Die Verhaftungen im Zuge der Machtübernahme durch die Nazis drängen Hilde und Walter rasch in die Illegalität. Die KPD gibt strenge Anweisungen zu konspirativem Vorgehen heraus.

Die Gestapo schafft sich nach dem Reichstagsbrand mit der „Reichstagsbrandverordnung“ vom 28.2.1933 Freiheit für jegliche staatliche Willkür durch die sog, „Schutzhaft“. Viele Weggefährten von Walter und Hilde werden umgehend verhaftet, unter ihnen ihre Freunde Hans Litten und Max Fürst mit seiner Frau Margot Meisel.

 

Bei einem „Treff“ wird Walter Ehlen am 3. Mai 1933 festgenommen. Die Polizei findet bei ihm einen Chiffrierschlüssel, ein Notizbuch mit Aufzeichnungen über „Treffs“ und einen Zettel mit chiffrierten Angaben über Treffpunkte.

 

Die Gestapo entlässt Walter Ehlen nach einer Woche Polizeihaft, weil sie sich erhofft, vor seiner Verhandlung durch ihn zu weiteren Verhaftungen zu kommen. Natürlich hält sich Walter Ehlen nicht an die Versprechen, die ihm die Gestapo abgenommen hat, sondern er berichtet ausführlich über sein Verfahren an den M-Apparat der KPD.

 

Am 30. November 1933, dem Tag an dem das Geheime Staatspolizeiamt in Preußen durch das  zweite "Gestapo-Gesetz" zu einem reichsweiten Terrorinstrument ausgebaut wird und jeglicher juristischen Kontrolle entzieht, heiraten Hilde und Walter auf den Standesamt Berlin-Neukölln. Trauzeugen sind Walters Vater und Hildes Mutter. Sie wohnen im Haus bei Walters Eltern. Hilde ist schwanger.

 

Walter und Hildes Sohn Tom wird am Sonntag, den 3. Juni 1934 geboren. Längst schon berät sich das junge Ehepaar wo und wie sie weiterleben können. Walters Emigration ist aufgrund der Massenverhaftungen unausweichlich. Knapp vier Wochen nach der Geburt seines Sohnes emigriert Walter Ehlen in die CSR nach Prag, wo er mit der Exilparteileitung der KPD in Verbindung steht. Hilde taucht mit ihrem Sohn in Berlin unter. Am Tag nach dem 2. Geburtstag seines Sohnes reist Walter auf Weisung des ZK der KPD wieder zur illegalen Arbeit nach Berlin, doch das vereinbarte Treffen geht schief, Walter muss noch zwei Mal zurück nach Prag, bevor er in die illegale Arbeit der KPD in Berlin „eingebaut“ wird. Seine Aufgabe ist es, den Einfluss „rechter Versöhnler“ im betrieblichen Widerstand, u.a. bei Osram zurückzudrängen und den Führungsanspruch der KPD durchzusetzen.

 

Walter Ehlen wird am 14. August 1936  - 10 Tage nach seiner Ankunft aus Prag – verhaftet und grausamen Verhören unterzogen. Die Gestapobeamten drücken glühende Zigaretten auf seinem Körper aus. Walter Ehlen bleibt standhaft und beteuert, dass er nach wie vor Anhänger der kommunistischen Weltanschauung sei. Der Reisepass auf den Namen „Paul Heger“ mit seinem Foto, der bei ihm gefunden wurde und mehrere Berichte über die Betriebsarbeit bei DKW, der Berliner Bau-Union, bei Borsig u.a. wiegen schwer gegen ihn.

Als Häftling Nr. 2470 wird Walter Ehlen in Zelle 256 der Abteilung 7 des Gefängnisses Berlin-Tegel gesteckt. Auch der Stuttgarter Karl Pfizenmaier, den das Kammergericht Berlin am 28. Mai 1936 zu 1 ½ Jahren Gefängnis verurteilt hat, befindet sich in Haft in Tegel.

 

 

Als Häftling Nr. 3200 kommt Walter Ehlen am 24. August 1936 ins Untersuchungsgefängnis Berlin-Moabit. Die Anklageschrift vom 24. März 1937 bezichtigt ihn und die Mitangeklagten Wilhelm Thiele und Anton Petruschewitsch der Vorbereitung des Hochverrats. Am 12, Mai 1937 wird Walter Ehlen zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt.

 

Vom 12. Mai 1937 bis 12. November 1944 verbüßt er die Strafe in der „Sicherungsanstalt“  Brandenburg/Havel-Goerden. Seine Frau Hilde tauscht in dieser Zeit Nachrichten in Geheimschrift mit ihm aus, die sie in Kassibern ins Gefängnis schmuggelt. Dabei riskiert sie viel.

 

Sie wird erwischt und zum Verhör befohlen. Ein Beamter rät ihr zur Flucht ins Ausland. Hilde gelingt mit ihrem Kind die Flucht nach England, wo sie zunächst als „female enemy alien“ interniert wird.

 

Am 1. Februar 1944 werden 12 Zuchthausgefangene ins Konzentrationslager Mauthausen transportiert, unter ihnen auch die Berliner Widerstandskämpfer Walter Ehlen und Hermann Dünow. Die Karteikarten der politischen Häftlinge, die nach Mauthausen, ein Lager der sogenannten Stufe III kamen, deren Häftlingskarten mit dem Vermerk R.u. versehen - „Rückkehr unerwünscht“ versehen sind.

 

Nach der Quarantäne im Revier kommt der gelernte Schneider Walter Ehlen am 19. April 1944 zunächst in die Häftlingsschneiderei und dann Häftlinge in das „Arbeitslager Saurerwerke“ der Waffen-SS im 11. Wiener Bezirk (Haidestr. 22/Oriongasse), wo er ab 25. April 1944 die Funktion des Lagerschreibers wahrnimmt.

Karl Pfizenmaier: Lagerältester war der Häftling Franz Kalteis aus Wien, der auf Betreiben der illegalen Widerstandsorganisationen der Häftlinge des KZ Mauthausen nach Simmering geschickt wurde. Auch in den Saurerwerken formierte sich eine illegale Häftlingsorganisation, bestehend aus Vertretern aller im Lager vertretenen Nationen und Richtungen, die von Walter Ehlen, Funktionär des deutschen Kommunistischen Jugendverbandes, aufgebaut und geleitet wurde. Die  Häftlinge kamen aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Jugoslawien, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, Polen, der Sowjetunion, Spanien, Tschechien und Ungarn, darunter 95 jüdische Häftlinge.“

 

„Am 01. April 1945 erfolgten die Vorbereitungen zur Evakuierung des Lagers, einen Tag später mussten 1 276 Häftlinge in drei Kolonnen, geführt von den SS-Oberscharführern Karl Kleine, Josef Plehar und Gerhard Wittkowski den Fuß-(Todes-)marsch von Simmering über Purkersdorf, St. Pölten, Mank, Scheibbs, Gresten, Randegg und Seitenstetten nach Steyr antreten. 190 „marschunfähige“ Häftlinge wurden im Lager Saurer-Werke zurückgelassen.
Vor dem Abmarsch aus dem Lager Saurer-Werke wurde den SS-Männern eingeschärft, dass jeder Häftling, der einen Fluchtversuch unternähme oder auf dem Marsch aus Schwäche zurückbliebe, zu erschießen sei und die Leichen verscharrt werden müssten.
Wenn jemand nicht mehr weiter konnte oder zu langsam ging und dadurch die ganze Kolonne aufhielt, wurde er mit einem Kopfschuss getötet. Die Menschen wurden vor der ganzen Gruppe erschossen und dann in den Straßengraben geworfen. Besonders ein großer, schwarzer serbischer Volksdeutscher, erschoss mit besonderem Vergnügen die schwachen, nicht mehr gehfähigen Häftlinge. Sehr schlecht war es um diejenigen bestellt, deren Schuhe rissen und die dann zu hinken anfingen. Ein Schuss des SS-Mannes beendete den langen Marsch eines solchen Häftlings ins Lager. Schlecht erging es einem auch, wenn man Durchfall bekam, weil man vor lauter Hunger vorher Karotten oder Zuckerrüben gegessen hatte. In einem solchen Fall war der Tod unausweichlich. Schlecht ging es auch denjenigen, deren Schuhe auf dem steinigen Weg kaputt wurden. Der Häftling musste dann barfuß gehen und wurde sofort in den Graben gestoßen und mit Genickschuss erschossen. Es gab sehr viele Fälle, wo die Schuhe oder die Stiefel den steinigen Weg nicht überstanden.“

 

Am 23. April 1945 kommen schließlich 1.076 Häftlinge im Mauthausener Außenlager Steyr-Münichholz an. In den 7 Jahren, in denen das Lager existiert, werden dort 190.000 Menschen gefangen gehalten, die Zwangsarbeit für die Steyr-Daimler-Puch AG, Tochter der „Reichswerke Göring“, verrichten müssen - Lageraufbau, Kugellager- und Flugmotorenherstellung, Straßenbau, Keller- und Bunkerbau. Mindestens 90.000 dieser Menschen werden dort ermordet.

 

Am 30. April 1945 werden 497 von ihnen, darunter die Freunde Walter Ehlen als Nr. 113 „DRSch 53315“ und Karl Pfizenmaier als Nr. 905 „DRSch 117153“ , ins Stammlager zurücküberstellt.

Die als "marschunfähig" befundenen Häftlinge, die in Simmering zurückgeblieben sind, werden am 8. April 1945 von sowjetischen Truppen befreit.

 

Am 2. Mai 1945 erschlagen junge slawische Häftlinge, die mit einen grünen Winkel gekennzeichnet sind, den 38-jährigen Widerstandskämpfer, Lagerschreiber, Ehemann und Vater Walter Ehlen im Zuge der anarchischen Wirren der Lagerauflösung in Gusen.

 

Unmittelbar der Befreiung am 5. Mai 1945 suchen seine Mutter Elise Ehlen und seine Frau Hilde Ehlen nach dem Verbleib von Walter. Erst 1953 erhalten sie nach einer Erinnerung des Amtsgerichts Neukölln an das Sonderstandesamt Arolsen die Toderklärung.

 

Die Sterbeurkunde wird drei Monate nach Hildes Tod 1993 – vermutlich auf Betreiben des Sohnes Tom – ausgestellt.

 

Mit der Verlegung der Stolpersteine für Hilde Irma Ehlen, geb. Paechter, und Walter Ehlen kehren ihre Namen und ihre Geschichte wieder an den Ort zurück, an dem sie gemeinsam gelebt haben, bevor sie vom NS-Regime verfolgt wurden.

 

Hans Maršálek, 19. Juli 1914 Wien – 9. Dezember 2011 Wien, beschreibt nach der Befreiung die von den politischen Gefangenen aufgebaute internationale Lagerorganisation, der auch er, Walter Ehlen und dessen Freund Karl Pfizenmaier angehörten:

“Eine Gemeinschaft von Gequälten, die den Glauben an den Sieg der Gerechtigkeit nicht preisgab; Menschen, die über alle Schranken der nationalen, rassischen und politischen Vorurteile hinweg einander die Hände reichten: Hungernd teilten sie ihr Stückchen Brot mit den Kameraden, noch im Sterben sprachen sie den anderen Mut zu. Sie spendeten Hoffnung und Kraft, stärkten das Rückgrat ihrer Mithäftlinge, lehrten das Unrecht hassen und bekämpfen, kräftigten die Solidarität innerhalb und zwischen den einzelnen nationalen Gruppen. Und aus diesem Geist, den Peinigern zum Trotz, wurde eine internationale Organisation des Widerstandes im Konzentrationslager geboren, die sämtliche Nationen umfaßte: … Die Flamme des Widerstandes nährte und stärkte die Schwachen, richtete die Gebrochenen wieder auf, schuf eine brüderliche Einheitsfront der KZler, die die Jahre des Grauens überdauerte und auch heute, über Nationale Grenzen und weltanschauliche Unterschiede hinweg, diese Menschen vereint.“

 

Die Verlegung der beiden Stolpersteine ist ein Beitrag zum Lernen aus der Geschichte, damit das „Nie wieder!“ Wirklichkeit werden kann und diejenigen im Gedächtnis bleiben, die sich aktiv gegen Krieg und Faschismus eingesetzt haben.

 

In der Verwaltung des politischen Nachlasses von Karl Pfizenmaier habe ich in seinem Sinne die Geschichte der Familie Ehlen recherchiert, die beiden Stolpersteine gespendet und die Zeremonie zur Verlegung organisiert.

 

Mein besonderer Dank gilt Hilde Paechters Nichte Renée Cafiero, die in den USA lebt, für die herzliche und offene Zusammenarbeit und ihr Grußwort, sowie Kirsten Schwartzkopff aus Köln und Vincenzo Paladino, die mich bei der Suche nach Angehörigen hilfreich unterstützten.

 

Ein sehr herzlicher Dank gilt

- der Koordinierungsstelle Stolpersteine Berlin mit Frau Dr. Silvija Kavčič und Frau Lisa Hirsch, Museum Neukölln, für den organisatorischen Rahmen der Stolpersteinverlegung und für gute Zusammenarbeit.

- Herrn Andreas Herbst für die freundliche Zusammenarbeit während meiner Recherchen und der Vermittlung eines Grußwortes seitens der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, für das ich Herrn Dr. Hans-Rainer Sandvoß herzlich danke. Die so wertvollen Forschungsergebnisse beider Historiker liegen auch meiner Recherche zugrunde.

- Herrn Sigmount A. Königsberg, Antisemitismusbeauftragter der Jüdischen Gemeinde zu Berlin K.d.ö.R. für die freundliche Zusammenarbeit und sein Grußwort.

- Herrn Markus Tervooren für die freundliche Zusammenarbeit und sein Grußwort als Geschäftsführer der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN/BdA) Berlin

- Herrn Martin Schneider, Evangelische Schule Neukölln, der mit Kl. 10d die Teilnahme an der Stolpersteinverlegung ausführlich inhaltlich vorbereitet hat

- Den Schülerinnen Klara und Tomma für die Vorbereitung und den Vortrag des Gedichts „Rebellen des Morgen“ bei der Stolpersteinverlegung und Oskar für die Aufnahmen.

- Herrn Alexander Vinokurov für die besondere musikalische Umrahmung der Stolpersteinverlegung mit seiner Klarinette

-  Karl-Heinz für alle ideelle und technische Unterstützung.

- allen an der Stolpersteinverlegung Teilnehmenden und Anteilnehmenden!

gdg

Programm:

 Musik „Donna, donna“ Alexander Vinokurov, Klarinette

Begrüßung und Übersicht 

Hilde und Walter - Biografisches, gdg

Hirsch Glik „Zog nit kajnmol“, Alexander Vinokurov, Klarinette

Gedicht „Rebellen des Morgen“ von Roman Karl Scholz (16.1.1912 – 10.5.1944)- Klara und Tamma, Kl. 10 d, Ev. Schule Neukölln                    

Stolpersteinverlegung durch Städtischer Bautrupp

Widerstand 1933 – 1945 in Berlin-Neukölln  Dr. Hans-Rainer Sandvoß

Hirsch Glik „Schtil, die Nacht is ojsgeschternt“, Alexander Vinokurov

Grußwort Renée Cafiero, Nichte von Hilde Irma Paechter (Videobeitrag)

Grußwort der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Sigmount A. Königsberg,    Antisemitismusbeauftragter

Grußwort VVN/BdA Berlin, Markus Tervooren, Geschäftsführer

Dank- und Schlußwort, gdg

Drach/Kohlmey„ Mein Vater wird gesucht“, Alexander Vinokurov, Klarinette